Das Anderssein Hermann Hesses ist weniger die Neigung eines Sonderlings als vielmehr die Einstellung eines Individuums, die dann zum weltanschaulichen Programm wird. Die Ferne, das Anderswo, das Fremde werden in seinen Werken als Ort der Begegnung mit einer freundlichen Menschheit mit dem Respekt für die anderen Kulturen, das er von Hermann Gundert gelernt hatte, geschildert. Seine Gegenüberstellung von Kultur der Elite und Kultur der Massen muß auf dem Hintergrund einer Vision des zeitgenössischen Zustands als Katastrophenstätte, als Verteidigung der „wahren“ Kultur der Antike vor der Bedrohung des selbstbezeichnenden deutsch-nationalen Humanismus interpretiert werden. Weder Nietzsche noch Hesse wollten sich in Reih’ und Glied stellen, beide sind – jeder auf seine Weise – ihren exzentrischen Weg gegangen. Die deutsch-nationale Kultur verherrlichte den Begriff „Heimat“ als eine organische, physische Blut-Bindung zwischen Individuum und Volk, zwischen Individuum und Land. Hesse hat dagegen von der Romantik andere und den deutsch-nationalen entgegengesetzte Elemente zurückerworben: nämlich die Zentralität des Individuums, der Blick nach Innen, die Reise. Aufgabe der deutschen Kultur das sei, sie mobil zu machen und sich auf die Tradition zu berufen, um das unverkennbare und „heilige“ Recht zu verteidigen, Belgien zu besetzen. Es ist klar und deutlich –es sei in Klammern gesagt – daß Goethe und Kant als Banner eines „präventiven Krieges“ und der Überlegenheit der deutschen Kultur zu hissen, unkorrekt und sogar lächerlich ist. November 1914 veröffentlichte Hermann Hesse einen Artikel in der «Neuen Zürcher Zeitung» mit dem Titel O Freunde, nicht diese Töne!, in dem er logische und kulturpolitische Argumente den Aufrufen der deutschen Professoren entgegensetzt und ihre Positionen zurückweist. Hesse baut die deutsch-nationalen Argumente der Künstler und Gelehrten, die Aufrufe unterzeichnet hatten, in denen die fremden Kulturen verachtet wurden, ab. Aufgabe der Künstler und Gelehrten besteht nach Hesse nicht darin, gegen die Fremden zu hetzen, sondern darin, „Brücken zu schlagen, Wege zu suchen“, um eine Versöhnung und eine Verständigung zu ermöglichen. Hesse fühlte sich «von der Mehrheit angespieen» und seitdem betonte er immer mehr seinen Abstand von der Mentalität und von den kulturellen und politischen Positionen der deutschen Kulturwelt. Auch nach dem ersten Weltkrieg fühlte sich Hesse „fremd“ vor der deutschen politischen Lage. Das ganze literarische Werk und das kulturpolitische Handeln von Hermann Hesse und Romain Rolland hatten als Ziel, was man durch den Krieg und seine Folgen gelernt hatte, nicht vergessen zu lassen. Hesse ging einen ganz anderen exzentrischen Weg.

Hermann Hesses Umgang mit dem Fremden / Ponzi, Mauro. - In: HERMANN-HESSE-JAHRBUCH. - ISSN 1614-1423. - STAMPA. - 1:1(2004), pp. 1-18.

Hermann Hesses Umgang mit dem Fremden

PONZI, Mauro
2004

Abstract

Das Anderssein Hermann Hesses ist weniger die Neigung eines Sonderlings als vielmehr die Einstellung eines Individuums, die dann zum weltanschaulichen Programm wird. Die Ferne, das Anderswo, das Fremde werden in seinen Werken als Ort der Begegnung mit einer freundlichen Menschheit mit dem Respekt für die anderen Kulturen, das er von Hermann Gundert gelernt hatte, geschildert. Seine Gegenüberstellung von Kultur der Elite und Kultur der Massen muß auf dem Hintergrund einer Vision des zeitgenössischen Zustands als Katastrophenstätte, als Verteidigung der „wahren“ Kultur der Antike vor der Bedrohung des selbstbezeichnenden deutsch-nationalen Humanismus interpretiert werden. Weder Nietzsche noch Hesse wollten sich in Reih’ und Glied stellen, beide sind – jeder auf seine Weise – ihren exzentrischen Weg gegangen. Die deutsch-nationale Kultur verherrlichte den Begriff „Heimat“ als eine organische, physische Blut-Bindung zwischen Individuum und Volk, zwischen Individuum und Land. Hesse hat dagegen von der Romantik andere und den deutsch-nationalen entgegengesetzte Elemente zurückerworben: nämlich die Zentralität des Individuums, der Blick nach Innen, die Reise. Aufgabe der deutschen Kultur das sei, sie mobil zu machen und sich auf die Tradition zu berufen, um das unverkennbare und „heilige“ Recht zu verteidigen, Belgien zu besetzen. Es ist klar und deutlich –es sei in Klammern gesagt – daß Goethe und Kant als Banner eines „präventiven Krieges“ und der Überlegenheit der deutschen Kultur zu hissen, unkorrekt und sogar lächerlich ist. November 1914 veröffentlichte Hermann Hesse einen Artikel in der «Neuen Zürcher Zeitung» mit dem Titel O Freunde, nicht diese Töne!, in dem er logische und kulturpolitische Argumente den Aufrufen der deutschen Professoren entgegensetzt und ihre Positionen zurückweist. Hesse baut die deutsch-nationalen Argumente der Künstler und Gelehrten, die Aufrufe unterzeichnet hatten, in denen die fremden Kulturen verachtet wurden, ab. Aufgabe der Künstler und Gelehrten besteht nach Hesse nicht darin, gegen die Fremden zu hetzen, sondern darin, „Brücken zu schlagen, Wege zu suchen“, um eine Versöhnung und eine Verständigung zu ermöglichen. Hesse fühlte sich «von der Mehrheit angespieen» und seitdem betonte er immer mehr seinen Abstand von der Mentalität und von den kulturellen und politischen Positionen der deutschen Kulturwelt. Auch nach dem ersten Weltkrieg fühlte sich Hesse „fremd“ vor der deutschen politischen Lage. Das ganze literarische Werk und das kulturpolitische Handeln von Hermann Hesse und Romain Rolland hatten als Ziel, was man durch den Krieg und seine Folgen gelernt hatte, nicht vergessen zu lassen. Hesse ging einen ganz anderen exzentrischen Weg.
2004
Letteratura tedesca; Hermann Hesse e la guerra; pacifismo
01 Pubblicazione su rivista::01a Articolo in rivista
Hermann Hesses Umgang mit dem Fremden / Ponzi, Mauro. - In: HERMANN-HESSE-JAHRBUCH. - ISSN 1614-1423. - STAMPA. - 1:1(2004), pp. 1-18.
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