Die Kunst des Schweigens. Hugo Ball zwischen Anarchie und Askese / Ponzi, Mauro. - STAMPA. - 3(2012), pp. 34-59.
Die Kunst des Schweigens. Hugo Ball zwischen Anarchie und Askese
PONZI, Mauro
2012
Abstract
Dieser Aufsatz versucht, Hugo Balls Werke und Denken in dem Kontext der europäischen Avantgarden zu betrachten. Die künstlerischen Avantgarden des 20. Jahrhunderts wirken aus der Rückschau wie ein Schmelztiegel von verschiedenen Erfahrungen, in dem mit neuen Kunstsprachen experimentiert und ständig nach neuen Ausdrucksformen gesucht wurde und den man klassische Moderne nennt. Das Cabaret Voltaire und der Züricher Dada waren berühmt durch ihren anarchischen und provokatorischen Charakter, durch ihren Protest gegen den Krieg und gegen die nationalistische Mentalität, legendär als Versuch, die sprachlichen und gedanklichen Überzeugungen der Bourgeoisie abzuschaffen und eine anarchische und schöpferische Vitalität in den Vordergrund zu rücken. Hugo Ball war sich der Tatsache bewusst, dass die Dada-Bewegung die Richtlinien der Revolution der Kunst von Marinetti ›ererbt‹ hatte. Er war aber auch davon überzeugt, »einen Schritt weiter« gegangen zu sein:Im Gegensatz zu Tzara verstand Ball das Cabaret Voltaire nicht als Gründung einer neuen Kunst, sondern vielmehr als Protest gegen die Kriegsmentalität, als einen Versuch, sich von der Logik der Zerstörung zu befreien. Aufgrund dieses Charakters von Bruch und Provokation ist das Verständnis der ›Geste‹, der Initiativen dieser Künstler wichtiger als die Analyse ihrer Texte, die oft auf der Wiederholung von Lautgedichten oder Zeichen basierten. Hugo Ball hat versucht, teilweise jahrhundertealte philosophische und künstlerische Traditionen in der Moderne zu aktualisieren. Die Revolution der Kunstsprache ist eine Antwort auf den Krieg, und Balls Theorie ist keineswegs eine Flucht vor der Verantwortlichkeit eines Intellektuellen, sondern eine demonstrative Ablehnung der kriegerischen und menschenfeindlichen Auffassungen der Nationalisten. Seine theoretischen Schriften sind ein Gegenstück zu Thomas Manns Betrachtungen eines Unpolitischen. Beide Autoren der klassischen Moderne, drücken sie künstlerisch und theoretisch die Grundlinien zweier verschiedener und doch komplementärer Argumentationen gegenüber dem Nationalismus aus: einerseits die Verteidigung der kulturellen deutschen Identität und des »Adels des Geistes« und andererseits die Betonung der menschlichen Solidarität und des Prinzips der Einschließung (gegen die Ausschließungen der nationalistischen Diskriminierung). Im Mittelpunkt des Denkens von Hugo Ball steht das Doppelmotiv Anarchie – Askese. Beide Motive haben einen religiösen Ursprung. Für die ikonoklastische Raserei der Abende in der Züricher Künstlerkneipe kann man die Motivation auch in dem Versuch finden, die geistige Einfachheit und die gewählte Armut des heiligen Franziskus, der zu seiner Zeit unter den toskanischen Bürgern einen Skandal ausgelöst hatte, zurückzugewinnen. Die Figur des Franz von Assisi ist auch ein gemeinsamer Nenner der ansonsten so verschiedenen Autoren Hugo Ball und Hermann Hesse. Die Balls lebten im Tessin in Armut und mussten sich mit den Vorurteilen der Bevölkerung auseinandersetzen, die sie für Außenseiter hielt und doppelt ausschloss: wegen ihrer Züricher Erfahrung, die skandalös genug war, und wegen ihrer Selbstausschließung in einer armen Hütte, die als eine Abwehr der sozialen Integration verstanden wurde. Ball selbst betont in seiner Hesse-Biografie – und zwar ganz am Anfang, als er den Schriftsteller fast mit einem Selbstporträt schildert – das gemeinsame Element, das ihn mit Hesse verbinde, nämlich die Kunst des Schweigens: »Die Kunst des Schreibens besteht im Weglassen und Einsparen, im Reduzieren. Ein Satz, ja eine Geste oder ein Schweigen ersetzen in seinen Büchern den Aufwand ganzer Kapitel.« Es ist, was der amerikanische New Criticism »the ›unwritten‹ part of a text« nennt, das entscheidende und bedeutende Nichtgesagte. Die Kunst des Schweigens ist im Grunde die Kehrseite des »euphorischen Wortgelages«, der Dekonstruktion von Sprachen und Ausdruckssystemen, die immer an der Aphasie grenzt.File allegati a questo prodotto
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