Die Beziehung des Menschen zu den Göttern wird im fünften Gesang der Odyssee am Beispiel der Suche nach dem Glück dargestellt. Odysseus’ Zweideutigkeit besteht in seinem ständigen „Nach-Hause-zurückkehren-wollen“ und in der Notwendigkeit, jede Nacht mit der „begierigen“ Kalypso zu schlafen. Sein Glück besteht vielmehr darin, das Risiko der geschichtlichen Dimension eingehen zu können, das die Vergänglichkeit akzeptiert und das Scheitern in Kauf zu nehmen scheint. Der Wald der Kalypso, der am Anfang des fünften Gesangs so idyllisch dargestellt wurde, wird dann buchstäblich abgebaut, um die Abfahrt des Odysseus zu begünstigen. Der destruktive Charakter der menschlichen Dimension konkretisiert sich im Abholzen des Waldes, um ein Floß bauen zu können. Odysseus’ Abfahrt bewirkt nicht nur das Ende der Idylle, sondern auch die Zerstörung des idyllischen Topos. Gleichsam erwirbt die zeitliche, menschliche Dimension ihr Recht durch das Abholzen des Waldes der Kalypso zurück. Jedoch gab es in der griechischen Mythologie keine Vorstellung der Erlösung: Nicht einmal den Göttern des Olymps wies man diese Perspektive zu. Die unüberbrückbare Gegenüberstellung zwischen „Geschichtlichem“ und „Theologischem“ in allen ihren Formen (vergänglich/ewig, profan/göttlich usw.) taucht abseits der Konfessionen im religiösen Denken wieder auf. So wie im Wald der Kalypso dringt zwischen der Ordnung des Profanen und der Ordnung des Göttlichen das Motiv des Zwangs, des Unvermeidlichen ein. Bekanntlich vertritt Walter Benjamin sowohl im Theologisch-politischen Fragment als auch in den Thesen über den Begriff der Geschichte eine entscheidende Trennung zwischen geschichtlicher und messianischer Zeit und gründet die Ordnung des Politischen auf materialistischen Prinzipien, welche nichts Theologisches als eine „schwache messianische Kraft“ haben, die man auf den Begriff „Hoffnung“ zurückführen kann. In der jüdisch-christlichen Tradition entsteht die Ordnung des Profanen durch den Verlust eines privilegierten Ortes, wiederum eines in „Gottes Nähe“ gelegenen und deswegen metahistorischen „Gartens“. Die geschichtliche Dimension, die das Dasein im Profanen markiert, stellt die Frage der weltlichen Organisation der Gemeinschaft. Darüber hinaus wirft sie das „historische“ Problem auf, was man „inzwischen“ machen muß und insbesondere, ob es einen direkten Kausalnexus zwischen dem Weltlichen und dem Göttlichen gibt. Um den politischen Dialog strategisch zu verwirklichen, muß man das Bild des Fremden als feindliches Leitbild dekonstruieren. Häufig wurden die „Fremden“ in der Vergangenheit diskriminiert und von ihren Verfolgern verleumdet: Die Christen im römischen Kaisertum, die Juden im Deutschland des Dritten Reichs, die Schwar¬zen in den USA waren schuldlose Opfer von solchen Diskriminierungen. Es ist demzufolge theoretisch erforderlich, sich von der negativen und feindlichen Vorstellung des „Fremden“, des „Anderen“ zu befreien. Mit dem islamischen Fundamentalismus ist es allerdings praktisch schwieriger, weil die „Fremden“ nicht nur ihr „Anderssein“ gepredigt, sondern auch ihren Feindsinn mit konkreten und grausamen Taten verwirklicht haben. Folglich ist es notwendig, eben das zu tun, wozu die Fundamentalisten nicht bereit sind, zu unterscheiden. Man müßte versuchen, einen Dialog mit denjenigen Vertretern der islamischen Welt und Kultur zu aktivieren, die keine Fundamentalisten sind, die also ihre Bereitschaft zeigten, das Anderssein der „Anderen“ ohne Ansprüche auf Bekehrung oder Bestreben nach Hegemonie anzuerkennen. Das ist ein doppelt schwere Strategie – wie die Beispiele von Rabin und Friedrich II beweisen –, weil dieser Weg auf die Feindschaft der jeweiligen Fundamentalismen auf beiden Seiten trifft. Dennoch erweist sich dieser Weg als die zur Zeit einzig gangbare politische Strategie.

Die Ordnung des Profanen / Ponzi, Mauro. - STAMPA. - 194(2005), pp. 195-211.

Die Ordnung des Profanen

PONZI, Mauro
2005

Abstract

Die Beziehung des Menschen zu den Göttern wird im fünften Gesang der Odyssee am Beispiel der Suche nach dem Glück dargestellt. Odysseus’ Zweideutigkeit besteht in seinem ständigen „Nach-Hause-zurückkehren-wollen“ und in der Notwendigkeit, jede Nacht mit der „begierigen“ Kalypso zu schlafen. Sein Glück besteht vielmehr darin, das Risiko der geschichtlichen Dimension eingehen zu können, das die Vergänglichkeit akzeptiert und das Scheitern in Kauf zu nehmen scheint. Der Wald der Kalypso, der am Anfang des fünften Gesangs so idyllisch dargestellt wurde, wird dann buchstäblich abgebaut, um die Abfahrt des Odysseus zu begünstigen. Der destruktive Charakter der menschlichen Dimension konkretisiert sich im Abholzen des Waldes, um ein Floß bauen zu können. Odysseus’ Abfahrt bewirkt nicht nur das Ende der Idylle, sondern auch die Zerstörung des idyllischen Topos. Gleichsam erwirbt die zeitliche, menschliche Dimension ihr Recht durch das Abholzen des Waldes der Kalypso zurück. Jedoch gab es in der griechischen Mythologie keine Vorstellung der Erlösung: Nicht einmal den Göttern des Olymps wies man diese Perspektive zu. Die unüberbrückbare Gegenüberstellung zwischen „Geschichtlichem“ und „Theologischem“ in allen ihren Formen (vergänglich/ewig, profan/göttlich usw.) taucht abseits der Konfessionen im religiösen Denken wieder auf. So wie im Wald der Kalypso dringt zwischen der Ordnung des Profanen und der Ordnung des Göttlichen das Motiv des Zwangs, des Unvermeidlichen ein. Bekanntlich vertritt Walter Benjamin sowohl im Theologisch-politischen Fragment als auch in den Thesen über den Begriff der Geschichte eine entscheidende Trennung zwischen geschichtlicher und messianischer Zeit und gründet die Ordnung des Politischen auf materialistischen Prinzipien, welche nichts Theologisches als eine „schwache messianische Kraft“ haben, die man auf den Begriff „Hoffnung“ zurückführen kann. In der jüdisch-christlichen Tradition entsteht die Ordnung des Profanen durch den Verlust eines privilegierten Ortes, wiederum eines in „Gottes Nähe“ gelegenen und deswegen metahistorischen „Gartens“. Die geschichtliche Dimension, die das Dasein im Profanen markiert, stellt die Frage der weltlichen Organisation der Gemeinschaft. Darüber hinaus wirft sie das „historische“ Problem auf, was man „inzwischen“ machen muß und insbesondere, ob es einen direkten Kausalnexus zwischen dem Weltlichen und dem Göttlichen gibt. Um den politischen Dialog strategisch zu verwirklichen, muß man das Bild des Fremden als feindliches Leitbild dekonstruieren. Häufig wurden die „Fremden“ in der Vergangenheit diskriminiert und von ihren Verfolgern verleumdet: Die Christen im römischen Kaisertum, die Juden im Deutschland des Dritten Reichs, die Schwar¬zen in den USA waren schuldlose Opfer von solchen Diskriminierungen. Es ist demzufolge theoretisch erforderlich, sich von der negativen und feindlichen Vorstellung des „Fremden“, des „Anderen“ zu befreien. Mit dem islamischen Fundamentalismus ist es allerdings praktisch schwieriger, weil die „Fremden“ nicht nur ihr „Anderssein“ gepredigt, sondern auch ihren Feindsinn mit konkreten und grausamen Taten verwirklicht haben. Folglich ist es notwendig, eben das zu tun, wozu die Fundamentalisten nicht bereit sind, zu unterscheiden. Man müßte versuchen, einen Dialog mit denjenigen Vertretern der islamischen Welt und Kultur zu aktivieren, die keine Fundamentalisten sind, die also ihre Bereitschaft zeigten, das Anderssein der „Anderen“ ohne Ansprüche auf Bekehrung oder Bestreben nach Hegemonie anzuerkennen. Das ist ein doppelt schwere Strategie – wie die Beispiele von Rabin und Friedrich II beweisen –, weil dieser Weg auf die Feindschaft der jeweiligen Fundamentalismen auf beiden Seiten trifft. Dennoch erweist sich dieser Weg als die zur Zeit einzig gangbare politische Strategie.
2005
Theologie und Politik. Walter Benjamin und ein Paradigma der Moderne
9783503079490
Teologia e politica; fondamento teorico (o teocratico) dells comunità; monoteismi e fondamentalismi
02 Pubblicazione su volume::02a Capitolo o Articolo
Die Ordnung des Profanen / Ponzi, Mauro. - STAMPA. - 194(2005), pp. 195-211.
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Utilizza questo identificativo per citare o creare un link a questo documento: https://hdl.handle.net/11573/164950
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