Benjamins Zweideutigkeit besteht darin, daß diese Bilder und Bild-Konstellationen sowohl als Deutung des analysierten Kunstwerks (und also als Meinung des analysierten Schriftstellers) als auch als benjaminsche Projektion auf das Werk des analysierten Autors und also als Darstellung seiner eigenen Kunsttheorie wirken. „Methode ist Umweg“ – schreibt Benjamin in der erkenntnistheoretischen Vorrede zum Ursprung des deutschen Trauerspiels – „Darstellung als Umweg – das ist denn der methodische Charakter des Traktats“. Baudelaires heroische Haltung besteht in der Produktion von Allegorien, mit denen er versucht, die radikalen Veränderungen der Moderne zu kämpfen. Benjamin nimmt den Begriff der heroischen Haltung als Widerstand gegen die Moderne aus der Prosa von Baudelaire und dann verwendet ihn, um seine Gedichte zu deuten. Heroismus und Nihilismus sind bei Baudelaire (und zugleich bei Benjamin) ein und dasselbe. Benjamin verwendet die Baudelaire-Figur als Paradigma, um das Moderne zu kritisieren, oder, besser gesagt, um die schwarze Seite der modernen Epoche, ihr eingeborenes negatives Element zu unterstreichen. In diesem Sinn darf man von Benjamin keine literaturgeschichtliche Darstellung des französischen Dichters verlangen. Das „unglückliche Bewußtsein“ bewirkt bei Baudelaire eine „aktive Melancholie“, die für Benjamin als Muster seiner Analyse galt. Sein Bild der verlorenen oder gefallenen Aura stammt nämlich von Baudelaire. Der französische Dichter war sich bewußt, daß die auratische und romantische Auffassung des Dichters in der modernen Epoche vollkommen verloren gegangen war. Platon behauptet im Symposium, die Wahrheit sei der Gehalt des Schönen. Hier scheint als ob Benjamin die Platonische Denkstruktur in einer materialistischen Konstruktion umkehren will: die begriffliche Zuordnung der Phänomene ist die Darstellung der Ideen. Die Darstellung spielt im Benjamins Denken eine entscheidende Rolle sowohl im ästhetischen als auch im kunsttheoretischen als auch im soziologischen Sinn. Benjamin kehrt aber diese metaphysische Perspektive plötzlich um: in dem einigen Moment, in welchem das Wort Symbol ist, erweist sich die Idee als ein Sprachliches, und stimmen Wort, Symbol, Idee und Wahrheit als Logos überein. Die Wahrheit (die Idee) verbirgt sich in der symbolischen Bedeutung, deren Wahrheit in ihrer Darstellung, in ihrer Repräsentation, in ihrer Inszenierung besteht. Wenn die künstlerische Kommunikation der Moderne ihre Sprache aus einem Bildraum entnimmt und sich vorwiegend durch Bilder ausdrückt, dann gründet sich die Suche nach dem Schönen auf dem Schein der Ikonen. Benjamins Passagen-Werk hebt den Anspruch auf, eine Geschichte der Bilder der gesellschaftliche und künstlerischen Kommunikation der Moderne aber zugleich der Traumbilder zu sein. Warburg sammelt die Bilder, um einen Code für Affekte und Leiden zu bestimmen. Nun spielt bei Benjamin diese Beziehung eine wechselseitige Rolle: während die Kunst und die Werbung in ihrem Ausdruck Traumbilder in großer Menge verwenden, ist das Traumkollektiv von Formen und Bildern der Werbung und der modernen Kunst (Film, Fernsehen, usw.) bevölkert. Dadurch übernimmt die erkenntnistheoretische Unterscheidung zwischen „Schein“ und „Wahrheit“ neue kulturgeschichtlichen und ästhetischen Züge. Die neue Virtualität der Bilder hat eine neue Art von Schein hervorgebracht. In seiner Analyse des Paris als Hauptstadt des 19. Jahrhunderts betont Benjamin wiederholt, daß die moderne Epoche eine komplexes und interaktives Zeichensystem verwendet. Die Umfunktionierung – wovon Brecht und Benjamin sprechen – zeigt eine starke epistemologische Ähnlichkeit mit der Inversion (Umkehr), von der Warburg spricht. Man könnte in diesem Sinn behaupten, daß die Virtualität der Bilder jene Funktion übernimmt, welche die Ideen in der Platonischen Philosophie, worauf Benjamin in der Vorrede zum Ursprung des deutschen Trauerspiels hinweist, hatten.
Kunstproduktion und Simulation im post-auratischen Zeitalter / Ponzi, Mauro. - STAMPA. - (2007), pp. 225-242.
Kunstproduktion und Simulation im post-auratischen Zeitalter
PONZI, Mauro
2007
Abstract
Benjamins Zweideutigkeit besteht darin, daß diese Bilder und Bild-Konstellationen sowohl als Deutung des analysierten Kunstwerks (und also als Meinung des analysierten Schriftstellers) als auch als benjaminsche Projektion auf das Werk des analysierten Autors und also als Darstellung seiner eigenen Kunsttheorie wirken. „Methode ist Umweg“ – schreibt Benjamin in der erkenntnistheoretischen Vorrede zum Ursprung des deutschen Trauerspiels – „Darstellung als Umweg – das ist denn der methodische Charakter des Traktats“. Baudelaires heroische Haltung besteht in der Produktion von Allegorien, mit denen er versucht, die radikalen Veränderungen der Moderne zu kämpfen. Benjamin nimmt den Begriff der heroischen Haltung als Widerstand gegen die Moderne aus der Prosa von Baudelaire und dann verwendet ihn, um seine Gedichte zu deuten. Heroismus und Nihilismus sind bei Baudelaire (und zugleich bei Benjamin) ein und dasselbe. Benjamin verwendet die Baudelaire-Figur als Paradigma, um das Moderne zu kritisieren, oder, besser gesagt, um die schwarze Seite der modernen Epoche, ihr eingeborenes negatives Element zu unterstreichen. In diesem Sinn darf man von Benjamin keine literaturgeschichtliche Darstellung des französischen Dichters verlangen. Das „unglückliche Bewußtsein“ bewirkt bei Baudelaire eine „aktive Melancholie“, die für Benjamin als Muster seiner Analyse galt. Sein Bild der verlorenen oder gefallenen Aura stammt nämlich von Baudelaire. Der französische Dichter war sich bewußt, daß die auratische und romantische Auffassung des Dichters in der modernen Epoche vollkommen verloren gegangen war. Platon behauptet im Symposium, die Wahrheit sei der Gehalt des Schönen. Hier scheint als ob Benjamin die Platonische Denkstruktur in einer materialistischen Konstruktion umkehren will: die begriffliche Zuordnung der Phänomene ist die Darstellung der Ideen. Die Darstellung spielt im Benjamins Denken eine entscheidende Rolle sowohl im ästhetischen als auch im kunsttheoretischen als auch im soziologischen Sinn. Benjamin kehrt aber diese metaphysische Perspektive plötzlich um: in dem einigen Moment, in welchem das Wort Symbol ist, erweist sich die Idee als ein Sprachliches, und stimmen Wort, Symbol, Idee und Wahrheit als Logos überein. Die Wahrheit (die Idee) verbirgt sich in der symbolischen Bedeutung, deren Wahrheit in ihrer Darstellung, in ihrer Repräsentation, in ihrer Inszenierung besteht. Wenn die künstlerische Kommunikation der Moderne ihre Sprache aus einem Bildraum entnimmt und sich vorwiegend durch Bilder ausdrückt, dann gründet sich die Suche nach dem Schönen auf dem Schein der Ikonen. Benjamins Passagen-Werk hebt den Anspruch auf, eine Geschichte der Bilder der gesellschaftliche und künstlerischen Kommunikation der Moderne aber zugleich der Traumbilder zu sein. Warburg sammelt die Bilder, um einen Code für Affekte und Leiden zu bestimmen. Nun spielt bei Benjamin diese Beziehung eine wechselseitige Rolle: während die Kunst und die Werbung in ihrem Ausdruck Traumbilder in großer Menge verwenden, ist das Traumkollektiv von Formen und Bildern der Werbung und der modernen Kunst (Film, Fernsehen, usw.) bevölkert. Dadurch übernimmt die erkenntnistheoretische Unterscheidung zwischen „Schein“ und „Wahrheit“ neue kulturgeschichtlichen und ästhetischen Züge. Die neue Virtualität der Bilder hat eine neue Art von Schein hervorgebracht. In seiner Analyse des Paris als Hauptstadt des 19. Jahrhunderts betont Benjamin wiederholt, daß die moderne Epoche eine komplexes und interaktives Zeichensystem verwendet. Die Umfunktionierung – wovon Brecht und Benjamin sprechen – zeigt eine starke epistemologische Ähnlichkeit mit der Inversion (Umkehr), von der Warburg spricht. Man könnte in diesem Sinn behaupten, daß die Virtualität der Bilder jene Funktion übernimmt, welche die Ideen in der Platonischen Philosophie, worauf Benjamin in der Vorrede zum Ursprung des deutschen Trauerspiels hinweist, hatten.I documenti in IRIS sono protetti da copyright e tutti i diritti sono riservati, salvo diversa indicazione.