Goethes “malerische Auge”. Die “Umschreibung” der Ntur in Bilder / Ponzi, Mauro. - STAMPA. - (2011), pp. 259-272.

Goethes “malerische Auge”. Die “Umschreibung” der Ntur in Bilder

PONZI, Mauro
2011

Abstract

Sich im 18. Jahrhundert mit Kunsttheorie zu befassen, bedeutete gleichzeitig, über nicht anwesende Werke schreiben zu müssen – das heißt über Kunstwerke, die sich in Italien oder Griechenland befanden und deren Form beschrieben werden sollte. Um so notwendiger war die ekphrasis, weil von der antiken Malerei nichts anderes als die Bildbeschreibungen der lateinischen und griechischen Autoren übrig geblieben waren. Sogar von den berühmtesten Statuen waren nur noch die späteren Kopien überliefert worden. Dieses doppelte Bedürfnis der Beschreibung und der Reproduktion als Ersatz für die „Gegenwart“ des Kunstwerks selbst und seiner Aura sind Eigenschaften, von denen die Theorie jener Epoche abhängig war und die zur heutigen Zeit dank der technischen Reproduzierbarkeit (die es uns ermöglicht, die Werke in allen erdenklichen Formaten darzustellen) weit überholt sind. Dennoch sind sowohl die „Beschreibung“, als auch die „Reproduktion“ durch Zeichnungen – wenngleich sie die theoretische Argumentation unterstützen – nur noch ein „Ersatz“ der „Vision“ (einst sagte man „Anschauung“) des Kunstwerkes selbst. Bei Goethe hatten sowohl das kulturelle Vorbild als auch die Kunstproduktion eine starke „visuelle” Komponente. Die Kunst wurde in der Natur „verortet“, die die Norm für die künstlerische Produktion lieferte. Und diese „Verortung“ fand eben in Italien ihren bevorzugten Raum, weil es erst dort möglich war, die Produkte der antiken Kunst „leiblich“ zu erfahren. Goethes wechselseitige Beziehung zur italienischen Kultur ereignete sich demzufolge diachronisch. So wie die ideale Landschaft von Malern wie Lorrain und Poussin nach Italien „versetzt“ wird, ist „das Land, wo die Zitronen blühen“ der Topos par exellence der literarischen Produktion von Goethe. Doch bettet sich sein Italienbild in einen modernen Diskurs innerhalb der deutschen zeitgenössischen Kunstproduktion ein. Seine Reise nach Italien wurde im Sinne einer „visuellen“ Rückgewinnung der Antike (und der Renaissance, die er für eine Art revival der Klassik hielt) unternommen. Und als Bildungsreise war sie von dem Wunsch begleitet, die schon bekannten Topoi zu „sehen“. Die Übertragung der italienischen Bilder in den Kontext der deutschen Kultur wird zur Aktualisierung der literarischen Motive, die der Antike entstammen. Goethe versucht, die zeitliche Lücke zwischen dem Erlebnis des italienischen Vorbilds und dem deutschen „Exil“ zu überwinden, indem er die Aktualisierung der Antike und die Intertextualität in den Mittelpunkt seiner Poetik stellt. Was Goethe in seiner Reise nach Italien sucht und am Ende auch findet, ist eigentlich ein „Dispositiv“ (um einen Begriff von Foucault weiter zu verwenden) des Naturpoetischen – und zwar seine innere Organisation. Ein Grundbegriff der visuellen Kultur ist das Display, d. h. das Dispositiv, durch das ein Bild dargestellt, projiziert, entfaltet wird. Wenn man die Terminologie der antiken Rhetorik benutzen will, eignet sich der Terminus dispositio, der näher an den Begriff „Display“ reicht und auf die innere Disposition des rhetorischen Materials zielt. Und diese dispositio des dichterischen Materials findet in Italien ihr Dispositiv in der Visualität. Goethe spricht mehrmals in Sizilien von dem „malerische[n] Auge“. Die Visualität ermöglicht zunächst die Erfahrung und dann die Darstellung des Natürlichen und wird zu einem Mittel und zugleich zu einer Konstruktion, um die Kunst „nach Formen“ hervorzubringen. Zum Dispositiv gehört auch eine „körperliche“, physische, materielle, technische Komponente. Bei Goethe konkretisiert sich der technische Aspekt der Visualität in der Malerei, in dem schon erwähnten „malerischen Auge“. Sein Traum war eigentlich nicht nur auf die Landschaftsmalerei begrenzt; er hatte in Italien vor, die Natur (in ihren landschaftlichen sowie in ihren naturwissenschaftlichen Aspekten) mit „malerische[m] Auge“ darzustellen.
2011
Gedächtinsstrategien und Medien im interkulturellen Dialog
9783826041839
Letteratura tedesca; visualità; natura come modello
02 Pubblicazione su volume::02a Capitolo o Articolo
Goethes “malerische Auge”. Die “Umschreibung” der Ntur in Bilder / Ponzi, Mauro. - STAMPA. - (2011), pp. 259-272.
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